Vieles ist an diesem 1. Mai außergewöhnlich: Es gilt das Verbot von Versammlungen, zu denen man nicht gemeinsam in einem Fahrzeug anreisen dürfte oder im öffentlichen Nahverkehr Mundschutz zu tragen und Abstand zu halten hätte. Generationenübergreifend vertrauen Menschen hunderttausendfach ihren Protest den Kanälen der digitalen Medien an. Die kreisenden Hubschrauber haben sämtliche zur Versammlung neigende Körper im Visier, wobei die aktuelle Definition von Versammlung in ihrer Größe nicht zu unterbieten ist und selbst Parkbänke mitzurechnen scheint.
Vieles ist außergewöhnlich, ein Novum aber verdient das Prädikat „historisch“. Traditionell wenden sich am 1. Mai Arbeitnehmer mit ihrem Protest an die Politik als starkes Zeichen in der Gestaltung von Rahmenbedingungen. In diesem Jahr sind die Arbeitgeber selbst in ungekanntem Ausmaß abhängig von politischen Entscheidungen. Heute wäre der Tag für Arbeitnehmer und Arbeitgeber, gemeinsam die Stimme zu erheben. Wofür es sich zu demonstrieren lohnte? Für die Freiheit, Arbeit anzubieten, Lebenswerke fortzusetzen, Arbeitnehmern eine berufliche Heimat bieten zu können, gemeinsam Verantwortung für die jeweilige Region zu übernehmen, Familien aus eigener Kraft zu versorgen, Lebensentwürfe umzusetzen und gemeinsam verantwortliche Entscheidungen zu treffen.
Solidarität ist in aller Munde in diesen ver-rückten Zeiten. Angesichts der unmöglichen Großdemonstrationen lohnt der Rückgriff auf die historischen „Maispaziergänge“ – in kleinen Grüppchen aus zweierlei Haushalten sogar im Rahmen des Erlaubten. Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam auf der Straße. Es wäre ein Signal für die Rückkehr zur demokratischen Debatte – ganz im Sinne des 1. Mai!